Mittwoch, 30. Dezember 2009

Erneut Besucherrekord des österreichischen Films

1.330.397 Besucher! So viele Österreicher sahen bis einschließlich 20. Dezember 2009 österreichische Filme. So viel wie noch nie seit Zählungsbeginn Anfang der 80er-Jahre und wohl so viel wie seit den 50er- und 60er-Jahren nicht mehr, als die letzten Ausläufer der Unterhaltungsfilmindustrie rund um Sissi-Kitsch und Peter Alexander-Schlager ausklangen. Was man im Rekordjahr 2008 (970.000 Besucher) nicht für möglich gehalten hätte, bewahrheitete sich 2009. Sprungartig hoben sich die vergangenen beiden Jahre vom langjährigen Schnitt ab. Der österreichische Film ist wieder in!

Österreichische Kinofilme – jährlich werden etwa 30 davon hergestellt, gut die Hälfte davon Dokumentationen – erreichen jährlich etwa zwei bis drei Prozent Anteil an den Kinobesuchen in Österreich. Das waren in diesem Jahrzehnt, zumindest bis einschließlich 2007, zwischen 250.000 (2003) und 650.000 (2002) Menschen – bei 15 bis 19 Millionen Kinobesuchen insgesamt. Österreich konnte sich also seit 1999 (Nordrand, Barbara Albert) zunehmend mit internationalen Festivalerfolgen, immer häufiger auch an den renommiertesten Festivals der Welt rühmen – das heimische Filmpublikum schien dies jedoch kaum zu berühren.

Dann kam 2008: Die Fälscher erhielt in Los Angeles den Oscar und somit den in der öffentlichen Wahrnehmung einzig "wirklich wichtigen" Filmpreis. Und das kümmerte Herr und Frau Österreicher dann doch: Bescheidene 34.000 Besucher hatten den Film 2007 gesehen – doch nach der Oscarnominierung und insbesondere nach der Oscarverleihung kam der eigentlich bereits ausgelaufene Film österreichweit erneut großflächig in die Kinos, wodurch sich dieser Wert auf 190.000 annähernd versechsfachte. So viel zum wohl populärsten Ereignis des österreichischen Filmjahres 2008.

Blüte der kommerziellen Filmproduktion?

Die eigentliche Sensation aus filmwirtschaftlicher Sicht war 2008 jedoch eine andere: 970.000 Besucher und Besucherinnen stürmten Österreichs Kinos um österreichische Filme zu sehen – so viel wie vermutlich seit den letzten Ausläufern des Heimat-, Musik-, Kitsch- und Kostümfilms in den 50er-Jahren nicht mehr (eine richtige Kinobesuchsstatistik gibt es erst seit Anfang der 80er-Jahre, und nach dem Ende der letzten Sissi- und Peter Alexander-Filme in den 50ern und frühen 60ern, die das Ende einer Film-Epoche, die beim Publikum nicht mehr ankam, bedeutete, fiel der österreichische Film über 20 Jahre in einen Dornröschenschlaf).

Schuld an diesem außergewöhnlich starken Besucherzuwachs beim österreichischen Film war aber (natürlich) nicht der international erfolgreiche österreichische Kunstfilm. Vielmehr lag es an einer außergewöhnlichen Dichte an kommerziell, an ein breites Publikum gerichteten Produktionen wie Echte Wiener (205.000 Besucher im ausklingenden Jahr 2008), Falco – Verdammt wir leben noch! (155.000) und eben auch Die Fälscher (156.000 Besucher 2008), auch wenn dieser Film erst den Oscar benötigte um sein Publikum zu finden. Mit Let's Make Money (ebenfalls 155.000 Besucher) fand immerhin auch ein Dokumentarfilm ein breites Publikum – wenngleich diese Produktion Wagenhofers nicht an die 200.000 Besucher von We Feed the World herankam. Auch Nordwand (86.000) fand als "Action-Doku" (Extrem-Bergsteigen) viele Besucher und In 3 Tagen bist du tot 2, das kurz nach Weihnachten startete, erreichte 2008 auch noch 34.000 Besucher. Zum Vergleich: Der 2009 für den Oscar nominierte Film Götz Spielmanns, Revanche, kam 2008 nicht über 17.500 Besucher hinaus (und 2009 – Oscar-Nominierung hin oder her – auch nicht auf mehr als insgesamt 33.000).

Aufgabenteilung unter den Produzenten?

2008 gab es also die außergewöhnliche Situation, dass die eine Hälfte des österreichischen Filmschaffens mit ihren Filmen um die Welt von Festival zu Festival reist und Preise für Preise einkassiert, während die andere Hälfte in Österreich (und Deutschland) Filme für die Masse herstellte, die von dieser zaghaft, aber doch, auch angenommen wurde (mit 200.000 Besuchern lässt sich kein (Spiel-)Film finanzieren und auch ein Roland Düringer garantiert keinen Kassenschlager, wie Darum mit seinen 6.000 Besuchen zeigte). Aber lässt sich die österreichische Filmproduktion wirklich in zwei Hälften – eine kommerziell orientierte und eine künstlerisch orientierte – einteilen? Nun, ich hoffe, dass es hier keine scharfe Grenze gibt. Aber eine Entwicklung spricht tatsächlich für diese Annahme: Im April 2006 spaltete sich die Association of Austrian Filmproducers – bis dahin die gemeinsame Interessensvertretung praktisch aller relevanten Filmproduktionsgesellschaften in Österreich.

Im Streit um eine gemeinsame Position zu Fragen der Zukunft der Filmförderung und Filmpolitik in Österreich traten die größten österreichischen Filmgesellschaften aus dem Verband aus und konstituierten sich als Film Austria neu. Dies waren Allegro Film, Dor Film, epo-film, MR Film, Team-Film, Wega Film und Satel Film – jene seit 20 bis 30 Jahren bestehenden, gut in der österreichischen Filmlandschaft verankerten Unternehmen, die seit ihrem Bestehen für den Großteil der publikumsträchtigen Produktionen in Österreich verantwortlich waren und sind. Sie treten für ein von der öffentlichen Hand unabhängigeres Filmschaffen in Österreich ein, während die verbliebenen ca. 50 mittleren, kleinen und Kleinst-Unternehmen ohne öffentliche Förderungen kaum existieren könnten, zugleich ihre Existenz aber dadurch rechtfertigen, dass sie für den Großteil der Filmpreise, die Österreich vor allem seit 1999 einkassiert, verantwortlich sind. Das Kunstwerk, sowohl publikumsträchtige als auch künstlerisch wertvolle Filme herzustellen, scheint dabei nur der Wega Film zu gelingen, die etwa Michael Hanekes Filmschaffen von Anfang an begleitete.



Das Unwahrscheinliche passiert: 2009 noch erfolgreicher

2008 war zum einen zu erfolgreich, als dass eine Fortsetzung auf diesem Niveau (sowohl was Auszeichnungen als auch was Besucherzahlen betrifft) zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen war es aber auch zu erfolgreich, als dass 2009 wieder auf das Niveau von 2007 zurückfallen hätte können. Dass dies besuchermäßig schon schwer möglich sein würde, dafür sorgte der Fakt, dass Echte Wiener und In 3 Tagen bist du tot unmittelbar vor Jahreswechsel in die Kinos kam und annähernd die Hälfte ihrer Besucher (zusammen über 200.000) in den ersten Wochen des neuen Jahrs einspielte. Auch Festivalmäßig war von Anfang an ein erfolgreiches Jahr zu erwarten, die Liste der Auszeichnungen und Nominierungen wurde jedenfalls wieder sehr lang.

Auch der Ende Oktober 2008 gestartete Lets Make Money brachte 2009 noch 40.000 Besucher ein. Danach folgten die Highlights des Jahres, Der Knochenmann (267.000 Besucher) und Hexe Lilli (177.000 Besucher) – letzteres zwar eine mehrheitlich deutsche Produktion, doch für das österreichische Filminstitut (ÖFI) zählt jeder Film, der mit österreichischer Beteiligung hergestellt wird. Selbes gilt für Wüstenblume, das als mehrheitlich deutsch-französische Produktion mit österreichischer Beteiligung mit 177.000 Besuchern in der österreichischen Statistik verbucht wird. Der Vorjahreswert wäre allein mit diesen Filmen fast schon erreicht. Das sprichwörtliche Kraut fett machten dann aber eine – für österreichische Verhältnisse – Armada an mittelmäßig erfolgreichen Produktionen:
- Mein halbes Leben (26.000)
- Contact High (25.000)
- Plastic Planet (76.000)
- Das weiße Band (61.000)
- Der Fall des Lemming (74.000)
- Hogi's Family (25.000)
- Mount St. Elias (52.000)
-> macht zusammen rund 340.000 Besucher

Wer in dieser Aufzählung Ein Augenblick Freiheit und Das Vaterspiel – zwei Filme, die von der Kritik hoch gelobt wurden – vermisst: Ersterer erreichte nur 14.000, zweiterer bislang (der Film lief erst kürzlich an) 6.000 Besucher. Die übrigen ca. 15 Produktionen des Jahres 2009 erzielten überwiegend zwischen 1.000 und 5.000 Besucher.

Alles zusammen ergibt das bis einschließlich 20. Dezember 2009 1.330.397 Kinobesuche in Österreich, die auf Filme mit österreichischer Beteiligung entfallen. Zieht man die Minderheitsproduktionen ab (mehrheitlich nicht-österreichische Produktionen), was ohnehin nur fünf Filme sind (Das Vaterspiel, Die kleinen Bankräuber, Die Wüstenblume, Tortuga und Hexe Lilli) bleiben immer noch 962.493 Besucher. Das weiße Band, das von Deutschland für den Oscar eingereicht wurde, habe ich nicht abgezogen. Mir ist zwar die exakte Aufteilung der Produktion (Aufgaben, Kosten, vertragliche Bestimmungen etc.) nicht bekannt, doch wenn man das Produktionsteam des Films betrachtet, fällt auf, dass hauptsächlich das Team der Wega Film (wohl, weil es mit Haneke seit vielen Jahren bestens eingespielt ist) an den Hebeln der Produktion saß. Umgekehrt hält es sich jedoch zweifellos mit Hexe Lilli und Das Vaterspiel, wo bis auf die Autoren und Regisseure Ruzowitzky und Glawogger nur wenig österreichisches Schaffen im Spiel ist, noch weniger ist dies bei Die Wüstenblume der Fall.

Wie gehts weiter?

Bleibt die Frage, ob das Niveau 2010 erneut gehalten oder gar weiter ausgebaut werden kann. Die Voraussetzungen, soweit man das heute bereits sagen kann, sind jedenfalls nicht schlecht. Zwar gibt es keine Überläufer, also Filme, die zu Jahresende starten und wie im Vorjahr 200.000 Besucher ins neue Jahr rübertragen – aber wäre es darauf angekommen, wäre 2009 mit 1,1 Millionen Besuchen immer noch ein Rekordjahr gewesen.

Ein Blick in die Produktionslisten lässt jedenfalls viel Potenzial erkennen: Mit Tobias Moretti und Moritz Bleibtreu (gerade als griechischer Restaurantbesitzer im Kino – nächstes Jahr als Goebbels!) kommt Jud Süß wieder in die Kinos – diesmal wohl in einer entnazifizierten Version.

Für die Liebhaber der seichten Unterhaltung mit Identifikationsfiguren und Publikumsliebhabern muss wohl Furcht und Zittern (beschreibt sehr gut, was mich beim lesen der Kurzinfos zum Film überkommt) sehen. Reinhard Schwabenitzky, Garant für 150.000+ Kinobesucher, meldet sich mit Elfi Eschke wieder in den Kinos zurück.

Kandidat für den obligatorischen kapitalismuskritischen Dokumentarfilm des Jahres wird möglicherweise Forgotten Space sein, sofern der Film, der Anfang Oktober 2010 fertig gestellt sein soll, noch dieses Jahr in die Kinos kommt. In die Fußstapfen von Revanche, nicht zuletzt aufgrund der Hauptdarsteller, könnte 2010 möglicherweise Jedem das Seine treten. Vom Thema her zwar grundverschieden, von der Qualität der Produktion und der Grundstimmung her könnten sich aber durchaus Parallelen erwarten lassen. Elisabeth Scharang führt Regie, Epo Film produziert. Sicher nicht übersehen werden wird auch Mein Kampf, eine österreichisch-deutsch-schweizerische Gemeinschaftsproduktion über den jungen Postkartenzeichner Hitler und seinen jüdischen Förderer 1910 in Wien. Der Quasi-Nachfolger von Die Fälscher?

In die Kategorie Verwechslungskomödie, und somit ein Kandidat für überdurchschnittliche Besucherzahlen, kann man Die Unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott stecken. Wie die Kombination von Elfriede Ott, dem In 3 Tagen bist du tot-Regisseur Andreas Prochaska sowie jungen, aus skurill bis unanständigen Komödien (Nacktschnecken, Contact High) bekannten Schauspielern wie Michael Ostrowski beim Publikum ankommt bleibt natürlich fraglich.

Böse Krone-Schlagzeilen lässt wiederum Im Keller erahnen. Ulrich Seidl, mit Hundstage als "Nestbeschmutzer" vermutlich kroneweit bekannt, will mit dieser Dokumentation die Beziehung der Österreicher zu ihren Kellern skizzieren. Wie er wohl auf diese Idee gekommen ist?

Hingegen kein Blockbuster wird voraussichtlich Empire Me – Der Staat bin ich! von Paul Poet werden. Dafür umso mehr eine Empfehlung für Liebhaber des Skurril-amüsanten, wie mich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen